Hammerserie über Familienzirkel

Es wird langsam zur Gewohnheit, die ARD für ihr Dienstagabendprogramm zu preisen. Zumindest bis 21.05 Uhr. Was heute um 20.15 Uhr losgeht, hat zwar rein gar nichts mit dem hintergründigen, ironischen Humor aus Mord mit Aussicht gemeinsam, aber auch nichts mit den Nonnen und Tierärzten, die sonst den Dienstagabend im Ersten bevölkern.

Weissensee ist ein Familiendrama, das 1980 in Ost-Berlin spielt und eher wirkt wie ein großer Event-Dreiteiler aus 90-Minütern als etwas, das in sechsmal 50 Minuten den wöchentlichen Sendeplatz ganz normaler Familienserien einnimmt. Humor sucht man darin vergeblich, aber Fernsehen muss ja nicht zwingend lustig sein, um gut zu sein. Weissensee ist ein großes Drama über zwei Familien, die mehr gemeinsam haben als ihren jeweiligen Oberhäuptern lieb ist. Eines dieser Oberhäupter ist ein hohes Tier bei der Stasi, das andere eine regimekritische Liedermacherin, die ihre Meinung ungern für sich behält. Protagonisten des Mehrteilers sind aber sein Sohn und ihre Tochter, denn die verlieben sich ineinander, und das darf natürlich nicht sein.


Florian Lukas und Hannah Herzsprung / Fotos: ARD/Julia Terjung

Wie realistisch das Leben in der DDR in Weissensee dargestellt wird, kann ich nicht beurteilen, weil ich dort nicht aufgewachsen bin. Das sind die Autorin Annette Hess und der Regisseur Friedemann Fromm zwar auch nicht, aber mehrere der Hauptdarsteller, und angeblich hat sich niemand über den Inhalt beklagt. Im Gegenteil sollen sogar Hüte gezogen worden sein, wie gut die Situation und der Ton getroffen seien. Dies ist zumindest keine harmlose Ostalgie-Serie, aber auch keine, die pausenlos den Zeigefinger erhebt und alles verteufelt. Diese güldene Mitte ist sehr angenehm.

Florian Lukas als freundlich-naiver Volkspolizist, Jörg Hartmann als knallharter Stasi-Karrierist und Katrin Sass als aufmüpfige Sängerin fallen besonders positiv in diesem Ensemble auf, aus dem es schwer ist herauszuragen, weil einfach alle so gut sind. Entweder gibt es für andere Serien in Deutschland nicht genug gute Schauspieler, oder es gibt nicht genug gute Castingdirektorinnen wie Heta Mantscheff, die offenbar beurteilen kann, was ein guter Schauspieler ist. Denn finden Sie mal eine andere Serie, in der niemand hölzern und unglaubwürdig agiert!


Uwe Kockisch und Katrin Sass
Weder die Einordnung als Familienserie, noch die theoretisch auf dem Papier banal klingende Inhaltsbeschreibung einer verbotenen Liebe, die sich die Liebenden aber nicht verbieten lassen wollen, werden Weissensee gerecht. Zumal das Dilemma der Familien noch auf wesentlich mehr Ebenen beschrieben wird. Das ist gut geschriebenes und  gut umgesetztes Fernsehen, das nicht nur spannend ist, wenn pünktlich zum Episodenende die hochdramatischen Cliffhanger zum Einsatz kommen. Dann aber am spannendsten. Und dann kommt der einzige unerfreuliche Punkt: Dass es eine ganze Woche dauert, bis es weitergeht.

Weissensee, dienstags um 20.15 Uhr im Ersten.

Michael, 14. September 2010, 10:09.

10 Kommentare


  1. Danke für den Tipp – hätte ich glatt verpasst!

    Zum Thema Schauspieler: es ist nicht so, dass die Caster oder Regisseure nicht wüssten, wer richtig gut ist – sondern vielmehr so, dass die richtig guten Schauspieler lieber Kinofilme drehen, anstatt sich auf Serien-Niveau herabzulassen.

    Dass bei „Weissensee“ neben Lukas und Sass auch die Herzspung gewonnen werden konnte, ist für mich der beste Beweis, dass es sich hier um eine außergewöhnlich gute Produktion handeln muss.

  2. Angesichts der Überschrift kann man also festhalten: Ähre, wem Ähre gebührt!

  3. apropos:
    ulbricht zu bauern: nun genossen, der weizen steht ja prächtig!
    bauer zu ulbricht: genopsse ulbricht, das ist kein weizen, das ist gerste.
    ulbricht zu bauern: hackfrucht bleibt hackfrucht!

  4. Mal abgesehen davon, dass die Handlung auf einem etwas arg zufälligen Zufall beruht, war’s wirklich sehr gut.

    Jetzt müsste nur die Präsentation nicht so piefig sein. Wer wie ich sonst vor allem amerikanische und britische Serien gewohnt ist, dem kommen Kamera und Musik schon sehr bieder und unzeitgemäß vor. Der Vorspann machte zum Beispiel keinen Deut mehr her, als der von dieser grottigen Arztserie, die gleich danach kam. Vielleicht hat man ja aber das ganze Budget für gute Schauspieler verblasen und konnte sich nix Besseres leisten.

  5. Kürzlich erst wünschte ich mir, dass man doch eigentlich etwas Mad Men-artiges vorzüglich nach Deutschland portieren könnte. Und prompt wurde mein Wunsch von der ARD erfüllt. Jetzt bin ich mir selbst unheimlich…

  6. Nun, nach dem gestern im Radio, die Werbetrommel für diese Serie kräftig gerührt wurde, habe ich zugeschaut. Allerdings nicht nonstop, sondern mit Unterbrechungen. Die Sache mit den Aliens im 2ten fand ich dann doch spannender. Es ging ja quasi um die Zukunft.

    Was mich an diesem Weissensee ein wenig irritiert, ist der Umstand, dass das Thema DDR jetzt zur Unterhaltung am Dienstagabend verwendet wird. Durch Erlebnisse in meinem direkten Umfeld weiß ich, dass das Leben in der DDR nicht unbedingt lustig war. Diejenigen die die Geschichte heute mit einer rosa Brille sehen, mögen sich bitte kurz daran erinnern, wie das so war mit den Menschenrechten damals….und überhaupt.

    Gut zugegeben, es mag ja sein, dass es auch Leute gab, die ihr Leben damals toll fanden, und dem ganzen heute hinterher trauen. Ich schau auf jeden Fall mal weiter zu, um zu sehen, wie die Sache mit der Fluchthilfe weitergeht und ob es ein Happy End gibt…..

  7. Großartige Schauspieler, ja. Auch in Nebenrollen. Ein herrliche Szene wie Sven Lehmann als tumber Stasi-Major den Liederabend wiedergibt!

    Die Geschichte?
    Naja. Arg soapig. Jeder ist mit jedem bekannt oder verwandt.
    Und der Ami reist ein und aus als wärs von Charlottenburg nach Kreuzberg. Und eine Begegnung mit der VP ist possierlich. Das war wohl im echten Leben etwas bedrohlicher.
    Ein Stasi-Major, der seinem General in einer Sitzung offen widerspricht?
    Höhö.
    Und warum heißt eine Serie, die in Weißensee spielt, „Weissensee“?

    Aber ich gebe zu, das sind Nebensächlichkeiten. Ich bleibe dran.

    Andi

  8. Schade ist, dass die Serie nicht in der ARD-Mediathek auftaucht. Darauf hatte ich mich blöderweise blind verlassen und habe somit prompt die erste Folge verpasst. Der einzige Wiederholungstermin war wohl auch gleich Mittwoch Morgen. Das ist ja wie früher, wo man seinen Videorekorder programmieren musste, der heute längst verschrottet ist.

  9. Es ist doch eigentlich traurig, dass man einen öffentlich-rechtlichen Sender speziell loben muss, nur weil er mal eine etwas anspruchsvollere Serie dreht, in der sich nicht eine österreichische Hauptdarstellerin irgendwo im Osten wahlweise als Lehrerin oder Tierärztin betätigt, mal abgesehen von Nonnen oder Dieter Pfaff als einzigem männlichen Hauptdarsteller.
    Es bleibt nur zu hoffen, dass die endlich überfällige Vorabendreform in der ARD auch beim ZDF wieder was in Bewegung bringt, wo man sich gänzlich auf anspruchslose Krimiserien festgefahren hat, nur weil vor ein paar Jahren ein paar andere Thematiken aus anderen Genres nicht funktioniert haben, da langt man sich an den Kopf wenn man Machwerke wie SOKO Wismar 20 mal im Jahr ertragen muss und sich nur die Hauptdarsteller über die leicht verdiente Kohle freuen.

  10. Jetzt habe ich ganz vergessen was zu Weissensee zu schreiben, macht einen sehr guten Eindruck, nur hätte man Herzsprung ebenfalls gegen eine ostdeutsche Kollegin austauschen sollen, ansonsten leidet da die Glaubwürdigkeit. Schauspieler ansonsten ganz toll, Uwe Kockisch ohne Vollbart, ansonsten Requisiten toll, Story, naja, wenn das Ganze zu sehr ins Politische abgleitet guckt es auch keiner mehr an.



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