Der alte Mann kommt übers Meer

Da ist der Urlaub zu Ende, man steigt aus dem Flugzeug, und dann das: Heinz Reincke ist tot, Leo Kirch ist tot, und Thomas Gottschalk wechselt zur ARD.

Die Reintegrierung Thomas Gottschalks in den deutschen Alltag wird Auswirkungen auf den Inhalt seiner Sendung haben. So wird er in Zukunft weniger Anekdoten zu erzählen haben, mit welchen seiner Hollywoodstar-Nachbarn in Malibu er gegrillt, wen er beim Einkaufen getroffen und wen umarmt hat. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum seine neue ARD-Show zweieinhalb Stunden kürzer sein wird als seine jetzige ZDF-Show.

Gehen wir’s durch:

  • Kein Studiopublikum, heißt kein langes nickendes und dankendes Rumstehen mit ausgebreiteten Armen. Zwei Minuten Zeit gespart.
  • Keine Musikacts. 17 Minuten.
  • Keine Wetten. Elf Minuten.
  • Keine Bewerbung der neuen Rosamunde-Pilcher-Filme. Zwei Minuten.

Wenn die Sendung dann immer noch zu lang ist, muss Gottschalk seine Entweder-Oder-Fragen an seine Gäste auf drei Minuten pro Frage begrenzen, und notfalls kann auch noch die Zeit, die die Gäste für ihre Antwort zur Verfügung haben, von kaum auf keine gestrafft werden.

Interessanter als der Inhalt von Gottschalks neuer Show ist – abgesehen von, sagen wir…  allem anderen – der künftige Ablauf des ARD-Programms vor der Tagesschau. Gottschalk soll viermal pro Woche eine halbe Stunde lang „vor der Tagesschau“ auf Sendung gehen. Nehmen wir mal an, dass damit nicht die 15-Uhr-Ausgabe gemeint ist, und nehmen wir an, „vor der Tagesschau“ heißt „an die Tagesschau grenzend“. Dann fragt man sich, wo die neuen regional gefärbten Schmunzelkrimis, die das Erste seit einiger Zeit ankündigt und dreht, noch ihren Platz finden sollen. DWDL hat der ARD bereits eine Beteuerung abgerungen, an den geplanten Serien festhalten zu wollen. Der Plan, damit auch Zuschauer erreichen zu wollen, scheint dagegen nicht mehr so wichtig zu sein. Denn wenn Gottschalks halbe Stunde spätestens um 19.30 Uhr beginnen soll, müssen die regional gefärbten Schmunzelkrimis deutlich vor 19.00 Uhr beginnen. Zu dieser Zeit guckt der öffentlich-rechtlich geneigte Zuschauer aber bereits die regional betitelten SOKO-Krimis. Eine Chance haben die ARD-Serien nur, wenn sie sich nicht mit den ZDF-Serien überschneiden. Dem Vor-Gottschalk-Plan gemäß wäre das noch aufgegangen. Aber hey, wenn Rapunzel sein gülden Haar zur ARD herablässt, wer denkt dann noch an morgen?

In den vergangenen Jahren war das ARD-Vorabendprogramm eine Mischung aus Versuchslabor und Trümmerfeld. Weitgehend ideen- und konzeptlos warfen die Programmplaner alle erdenklichen Formate an die Wand, in der Hoffnung, dass irgendwann mal eins haften bleiben würde. Mit den neuen Krimiserien hatte die ARD endlich ein durchdachtes und auf mehr als ein paar Wochen angelegtes Konzept für das von Werbung durchsetzte Vorabendprogramm, das durchaus ein paar jüngere Zuschauer anziehen soll. Stattdessen wird dieses Vorabendprogramm in Zukunft von einem 61-jährigen Mann geprägt, der gern von früher erzählt. Einem Mann, der mit Wetten, dass…? zwar eine der erfolgreichsten Sendungen der TV-Geschichte präsentiert hat, daneben aber seit dem Ende von Na sowas 1987 nie wieder eine Reihe etablieren konnte, die entweder ein langfristiger Erfolg gewesen oder wenigstens besonders positiv in Erinnerung geblieben wäre.
Mensch, da kann ja eigentlich nichts schief gehen.

Ebenfalls ungeklärt ist, wie diszipliniert sich Gottschalk in einer täglichen Live-Sendung an die vorgegebene Sendelänge halten kann, oder ob bald zwar die Tagesthemen an vier von sieben Tagen endlich eine einheitliche Startzeit haben werden, dafür aber die Tagesschau nicht mehr.

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Michael, 16. Juli 2011, 22:35.

13 Kommentare


  1. Die ARD-„Schmunzelkrimis“ sind sowieso eine gleichermaßen phantasielose wie riskante Idee. Die gehen an die gleiche Zielgruppe wie die ZDF-Sokos. Aber hat der Zuschauer Lust, sich nach den 18Uhr-ZDF-Schmunzelkrimis noch 19Uhr(oder so)-ARD-Schmunzelkrimis anzusehen?

  2. Es ist ein großes Missverständnis, dass Gottschalk so etwas wie Gesprächsführung beherrscht. In den Kindertagen von RTL durfte man sich davon bereits überzeugen; bei WD geht es ja eh‘ nur um Promotion.

    Gottschalks ungekonntes und peinliches Antichambrieren dürfte in etwa so attraktiv sein wie einem Pferd beim Schlafen zuzusehen. Verschwendung von Gebührengeldern. Warum kann Gottschalk nicht bei VOX Prominentenduschen moderieren?

  3. Na, die Schmunzelkrimis können ja immer noch in den Dritten Programmen laufen, wenn die Bänder mit den Telenovelas und „In aller Freundschaft“ irgendwann mal brüchig geworden sind. Und wenn Gottschalk bei der Gelegenheit gleich auch noch Wetter und Börse im Ersten integriert, hat die ARD sogar die Kachelmann-Lücke geschlossen.

    Die Regiokrimis werden sowieso in den Dritten Programmen laufen, so oder so. Ob sie dann schon vorab einem ausgewählten Publikum im Ersten gezeigt worden sind, kann ja egal sein. Und wenn es der Eindämmung dümmlicher öffentlich-rechtlicher Quizshows dient, bin ich sowieso dafür.

  4. Es ist eigentlich gar nicht zu verstehen was sich die ARD bei der Verpflichtung Gottschalks gedacht hat. Gesprächssendungen konnte er noch nie und das sollte eigentlich auch den Verantwortlichen hinlänglich bekannt sein.

    Außerdem will man doch die junge Zielgruppe in den Vorabend locken, damit man möglichst viel Werbung verkaufen kann. Genau diese Zielgruppe will Gottschalk aber gar nicht sehen.

    Die angepeilten 170 Sendungen wird Gottschalk auf keinen Fall erleben.

    Ostern fällt 2012 auf das erste Aprilwochenende. Das dürfte der ideale Zeitpunkt sein um die Sendung wieder einzustellen, nachdem sie auf untragbare Quoten abgesunken ist.

    Gottschalk = Bruce 2.0

  5. Und dann soll der Quark auch noch „Tagesshow“ heißen! Das war schon bei Rudi Carrell nicht mehr originell…

  6. Auch ich sehe die Verpflichtung von Gottschalk durch die ARD eher kritisch und glaube nicht, daß diese Sendung lange bestehen wird (sei es aufgrund schlechter Einschaltquoten oder sei es weil Gottschalk dauerhaft sicher nicht viermal die Woche Sendung haben will).

    Daß man durch dieses Format das gerade im Reformprozeß befindliche Vorabendprogramm wieder über den Haufen wirft, ist auch nicht gerade ideal.

    Man kann aber für die Sendung durchaus Platz schaffen: Das unsägliche Brisant kann man ja wieder kürzen (lief früher doch auch nur rund 30 Minuten) und Verbotene Liebe schon um 17.45 Uhr beginnen lassen. Die neuen Serien könnte man dann gegen 18.35 Uhr starten und Gottschalks neue Show dann gegen 19.30 Uhr. Die Sendung muß ja nicht unbedingt 30 Minuten dauern, 25 Minuten tuns da auch.

    Ggf. kann man auch bei der Verbotenen Liebe ein paar Minuten wieder abknappsen oder die neuen Krimis statt 50 nur 45 Minuten laufen lassen.

    Damit bleibt also noch genug Zeit für Werbung.

    Wissen vor 8, Börse und Wetter kann man entweder noch etwas eindampfen oder (ganz oder teilweise) einstellen. Den jetzigen Flickenteppich zwischen 19.50 und 20.00 Uhr kann man in meinen Augen so ohnehin nicht dauerhaft bestehen lassen.

    Ich schließe mich ausdrücklich nicht der These an, daß sich die Serien bei ARD und ZDF nicht überschneiden dürften. Das Format (Krimi) ist zwar ähnlich, letztlich sind die ZDF-Sokos aber doch anders von der Machart her – einen „Schmunzelkrimi“ kann ich da nicht erkennen.

    Vielleicht wäre es auch besser, die neuen Serien erstmal am Dienstag abend um 20.15 Uhr zu platzieren, um sie einem breiteren Publikum bekannt zu machen und sie dann bei Erfolg für Wiederholungen und/oder weitere Staffeln ins Vorabendprogramm zu verlegen.

    Richtig ist übrigens, daß Gottschalk außerhalb von „Wetten dass…?“ und „Na sowas“ einige Flops hatte. Seine Hausparty auf Sat.1 lief aber durchaus einige Zeit erfolgreich und seine Late-Show auf RTL hatte (wenn ich mich recht erinnere) Quoten, die doch deutlich (wenn man sie mit halbswegs ähnlichen Late-Shows vergleichen mag) über denen von Harald Schmidt oder Stefan Raab lagen.

  7. westernworld,

    ich hoffe ja das gottschalk genauso abstürzt wie kerner auf sat1. das oder ein angenehmer autounfall … vielleicht im rahmen einer wette. ich kann den kerl nicht mehr sehen und will auch nichts mehr von ihm hören.

  8. Vergessen wir mal nicht die „Börse im Ersten“ um 19.50 Uhr. Heißt für mich Kleingeist, dass Gottschalk eigentlich schon um spätestens 19.20 Uhr anfangen müsste (wg. Werbung auch eventuell früher).

    P. S.: Willkommen zurück (inzwischen hat übrigens Katja H. nahtlos die von Dir besuchte bankrotte Nation erreicht)!

  9. Ich war versucht, die Aufzählung am Ende des ersten Absatz im Kopf konsequent durchzuziehen.

  10. …ich hatte ja die Hoffnung, dass er in Rente geht…..jetzt wird das wieder nix….

  11. Ich kann mir einfach nicht vorstellen welches Publikum einen Gottschalk in der Vor-Primetime sehen will.

    Sorry ich wüsste nicht wer.
    Dem Format geb ich 6 Wochen max. dann bye bye.

  12. Dann können wir ja eine kleine Wette veranstalten:
    Läuft die letzte Sendung Schwerdonnerstag oder Gründonnerstag?

  13. Ich bin gespannt was Gottschalk und die ARD uns zumuten wird. Eine Chance ohne Vorverurteilung sollte man ihm aber geben.



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