Tokio Hotel: US-TV-Debüt nachts um halb zwei

Tokio Hotel sind jetzt Weltstars. Wenn man ungefähr allen deutschen Medien glauben darf, gibt es in den USA gerade nichts Heißeres als die Magdeburger Krabbelgruppe, weil sie „als erste deutsche Band“ in einer großen amerikanischen Fernsehshow aufgetreten sei.

Das mag soweit richtig sein, denn Einzelpersonen sind ja keine Band. Der letzte deutsche Popstar, der in einer (größeren) amerikanischen Fernsehshow auftrat, war vor acht Jahren Lou Bega mit „Mambo No. 5″ in der Tonight Show with Jay Leno, und wir wissen ja alle, welch unaufhaltsame Weltkarriere Lou Bega seitdem macht.

Das amerikanische Fernsehdebüt von Tokio Hotel war am sehr späten Freitagabend in Late Night with Conan O’Brien. Conans Show beginnt um 0.35 Uhr, und Tokio Hotel waren die musikalischen Gäste vor dem Abspann eine Stunde später. Conan O’Brien ist einer der größten Fernsehstars der USA, aber mehr als zwei Millionen Zuschauer hat er zu dieser Zeit auch nicht mehr. Der Auftritt in Wetten, dass…? dürfte in höheren Plattenverkäufen resultiert haben. Dennoch rangiert das englischsprachige Album „Scream“ beim Onlinehändler amazon.com immerhin unter den Top 200. Es kostet dort gerade 7,99 Dollar, umgerechnet etwas mehr als fünf Euro.

Und auch die renommierten amerikanischen Musikmagazine seien begeistert, vermelden deutsche Medien euphorisch. Im „Rolling Stone“ liest sich diese Begeisterung so:

Es ist offiziell: Diese Jungs sind die größte deutsche Bubblegum-Neo-Glam-Goth-Emo-Boy-Band. Aller Zeiten. (…) Das ist vor allem Leadsänger Bill Kaulitz zu verdanken, ein 18-jähriger Androgyne, dessen gewaltige Elektroschock-Frisur etwa 15 Zentimeter höher absteht als Tina Turners 80er-Schnitt. Kaulitz‘ Gesangstechnik ist beschränkt, aber er hat das Charisma eines natürlichen Frontmanns. (…) Seine sonderbare englische Aussprache — er spricht „eyes“ wie „ice“ — trägt zusätzlich zu seinem Charme bei.

Wertung: Dreieinhalb von fünf möglichen Sternen. Das ist in der Tat ziemlich gut und alles sehr schön für die Band, und womöglich schicken sie sich tatsächlich an, die erfolgreichsten deutschen Popstars in den USA zu werden. Das würde ich ihnen sogar gönnen. Man sollte nur die Dimensionen nicht unbedingt glauben, die deutsche Medien gern aus den USA berichten. Dass morgens in aller Herrgottsfrühe Menschenscharen vor den New Yorker NBC-Studios Schlange stehen, um Tickets für Conan O’Brien zu bekommen, hat nämlich nicht zwingend mit Tokio Hotel zu tun. Das ist jeden Morgen so.

Sie wissen schon, dieselben deutschen Medien, die auch den Eindruck erwecken, als ginge es im Rennen um die amerikanische Präsidentschaft nur um die Frage, ob es Barack Obama oder Hillary Clinton wird.

Bis auf den „Stern“. Der hält es sogar für möglich, dass Bill Kaulitz Präsident wird.

Schlagwörter: ,
Michael, 12. Mai 2008, 17:07.

19 Kommentare


  1. hehe 3,5/5 hätte ich ja nicht von RS erwartet. Aber naja mal sehen wie weit die „weltkarriere geht“ :p

  2. Dass die deutschen Medien gerne übertreiben, wenn es um deutsche Stars in Amerkia geht, hat man doch in den letzten Jahrzehnten immer wieder beobachten können. Erst Schweiger, Potente und Co. über den grünen Klee loben (Durchbruch und große Karriere in Hollywood steht kurz bevor), dann die Beichte über die Enttäuschung ausschlachten („Warum hat es immer noch nicht geklappt? Alles schlimmer als erwartet! Hollywood ist ein mieses Geschäft, eine Scheinwelt!“) und am Ende wurde dann nur noch auf den Rückkehrern rumgehackt und der Finger in der Wunde gelegt („Wie konnte er/sie nur denken, dort Karriere zu machen? Hat sich wohl für etwas besseres gehalten! Riesenenttäuschung! Karriereknick/Karriereaus!“).

    Die BILD ist da führend in diesem „Geschäft“, sie pusht und „fördert“ deutsche Sternchen, die sogar in Deutschland niemand ernsthaft kennen möchte und hat so immer die exklusiven Storys, wenn es abwärts geht (oder eben nie aufwärts).

    Aber da sind die etablierten und seriösen Medien auch nicht viel weiter. Die reden lieber die deutschen Schauspieler, Regisseure, Musiker und Schriftsteller klein, bevor sie beim großen Durchbruch oder einem großen Preis, dann immer behaupten, dass der Erfolg verständlich und verdient war. Also ich habe nichts gegen Kritik, aber man sollte doch bitte bei einer Story bleiben und nicht je nach Erfolgslage die Seiten wechseln.

    Wenn ich mir dann durchlesen muss, wie selbst der Spiegel seine Interviews schreibt bzw. schreiben lässt, dann wird mir ganz übel:
    http://www.der-w.de/blog/?p=220
    Da kann eigentlich nur noch sowas dabei rauskommen:
    http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,551125,00.html
    http://uploaded.to/?id=bdlrky

  3. „ein 18-jähriger Androgyne“

    Bin ich also nicht der einzige, der findet, dass der Kerl wie ein Mädchen aussieht.

  4. Naja glaube eh nicht das tokio hotel irgentwo wegen ihrem gesang erfolg haben. Dennoch würde ich ihnen empfehlen auch in amerika soviel wie möglich auf deutsch zu singen, weil die es dann nicht verstehen und sich nicht so über die aussprache oder so aufregen!

  5. Ein schönes Beispiel ist auch Ralf Möller. Auf youtube kann sich den Trailer vom RTL Film „Hai-Alarm auf Mallorca“ ansehen. RTL redet da was vom „Hollywood Megastar Ralf Möller“. Ok, er hat in Gladiator mitgespielt, aber seine Rolle war eine sehr kleine und er war kaum zu sehen. Ansonsten hat er nur billige B-Movies gedreht. Bei dem wird auch immer viel übertrieben 😉

  6. Übrigens, die spielen ja sogar Live! Das würde ich mir bei Raab und co. auch mal wünschen. Vor allem bei den Hit-Giganten…

  7. Die Jacke des Androgynen sieht doch ein wenig nach Union Jack aus. Hätte er mal lieber ein paar Sterne und Streifen draufgepappt, dann wäre der Erfolg bestimt NOCH größer.

  8. Lord Kinbote,

    @Monster, bei Raab wird doch eigentlich auch immmer live gesungen und gespielt, zumindest was ich so gesehen habe.

  9. @6/Monster: Aua! Raab ist genau das falsche Beispiel, da Herr Raab seine Gäste eigentlich immer nur live spielen lässt. Jedenfalls erinnere ich mich an keinen Playback-Auftritt bei ihm. Und ich habe VIELE Sendungen von Raab gesehen!

  10. Raab hat durchweg nur Musikgäste, die live spielen. Bei Schmidt ist es genauso.

    Wäre auch schön blöd, wenn man sich extra einen musikalischen Gast in eine Comedysendung einlädt, der dann nur die Lippen bewegt und mit den Armen rumfuchtelt.
    Das überlassen wir doch lieber den großen Musikshows, die Volksmusik, Schlager und Pop zeigen.

    Ist schon eine lustige Situation, dass in Musiksendungen wie dem Musikantenstadl, der Goldenen Stimmgabel Top of the Pops und wie sie alle heißen (oder geheißen haben) die Musik praktisch immer vom Band kommt. Zeigt mir jedenfalls sehr deutlich wie wenig Wert diese Art von Musik hat.

  11. Ich weiß zwar nicht, ob sie in Fernsehshows spielen, aber sind Rammstein nicht wesentlich bekannter und gefragter in Amerika?

  12. @ ghling: Bekannt ja, aber ich glaube wirklich nicht, dass sie in so einer Show spielen würden. Obwohl, lustig wärs, hehe.

    Ich gönne den Jungs auch den Erfolg, aber hoffentlich entwickelt sich dann daraus nicht das Vorurteil bei den Amis, dass jeder Deutsche heutzutage so rumläuft.

  13. Hey, an den Auftritt von Lou Bega bei Jay Leno kann ich mich noch erinnern da es damals Leno noch regelmäßig bei NBC Europe gab. Heute könnte ich ihn höchstens noch über Hulu oder am Wochenende auf CNBC sehen, aber das ist etwas mühsam. Danke dass mich der Artikel zumindest daran erinnert hat wie alt ich bin ;_)

  14. @Harald

    Falls du immer noch interesse an Late Night-Sendungen hast, kannst du diese unter http://www.latebyte.nl nach einer kurzen Registrierung per BitTorrent runterladen. Die aktuellen Sendungen bekommt man in der Regel in unter einer Stunde auf den Rechner.

  15. Da ich zufällig in NYC war, kann ich berichten, dass mitten auf dem Times Square Mädels gezeltet haben, um am nächsten Tag zur Autogrammstunde zu kommen. Dort war es dann auch sehr voll, und es waren hauptsächlich US-Mädels da, die in langen Schlangen am Times Square standen. Man sollte den Erfolg der Band nicht über-, aber natürlich auch nicht unterschätzen.

  16. Interessant. Das hat dann tatsächlich zumindest in dieser Hinsicht Backstreet-Boys-Niveau.

  17. Und in der Show selbst wurde auch -wie in Deutschland- bei jeder Erwähnung von Tokio Hotel im Publikum nach Herzenskräften gekreischt. Ist zwar auch kein ernsthafter Indikator, aber es scheint schon so zu sein, dass sie auch in den USA einen gewissen Erfolg erreichen könnten.

    Ich war auf jeden Fall ziemlich perplex, als ich letzte Woche im Hotel per Zufall in Conan O’Brien reinzappte und dann auf einmal TH angekündigt wurden. =) Irgendwie verfolgen die mich auch im Ausland, nachdem ich sie schon im Urlaub in Italien vergangenes Jahr auf der Toilette eines Bauernhofs hören durfte…

    @ghling
    Also Rammstein-Alben findet man in den USA jedenfalls in fast allen CD-Läden.

  18. „Bubblegum-Neo-Glam-Goth-Emo-Boy-Band“

    Merke ich eigentlich, dass ich alt werde, wenn mich solche pseudocoolen Begriffe anwidern? Oder hätte er mich (der „Begriff“) auch mit 20 angewidert?

  19. lasst Tokio Hotel in ruhe !!!!!!!!



Das Buch

die Autoren

Weitere Bücher

New York für Fern-SeherDie kleine House-Apotheke

Links