Ein Lied für den Rest vom Rest von Restjugoslawien

Das sind die Momente, aus denen die richtig harten Horrorfilme gemacht sind. Kurz vor Ende dieses Grand-Prix-Vorentscheids hieß es, dass nun die prominente Paten von der Couch für Katja Ebstein ein Medley ihrer großen Grand-Prix-Hits singen werde. Auf der Couch saßen: Kim Fischer, Tetje Mierendorf (Mein großer, dicker, peinlicher Verlobter), Tagesschau-Sprecher Marc Bator und Oliver Pocher. Es drohte, eine dieser schrecklichen Erinnerungen zu werden, die man entweder sein Leben lang nicht los wird, oder für deren Verdrängung man Batzilliarden von Gehirnzellen opfern muss.

Und dann tat es gar nicht weh. Kim Fischer kann singen und sang „Diese Welt“. Tetje Mierendorf kann erstaunlicherweise auch singen und sang mit Kim Fischer „Wunder gibt es immer wieder“. Und selbst Marc Bator, der eigentlich hinter seinem Nachrichtenpult ganz gut aufgehoben ist, war erstaunlich okay, als er ein paar Zeilen „Theater“ sang, bevor die anderen einstimmten. Und Oliver Pocher? Oliver Pocher, der — abgesehen von der treffenden Beschreibung der anwesenden serbischen Gewinnerin des vergangenen Jahres als „der dicke Playmobil-Mann aus Serbien“ — den ganzen Abend keine funktionierende Anti-Haltung zu diesem ihm sichtlich unangenehmen Spektakel gefunden hatte? Oliver Pocher? Sang nicht. Er gab nur mit Thomas Hermanns die beiden albern gestikulierenden „Theater“-Pantomimen. Und dann stimmte Katja Ebstein mit ein, und das ganze Medley war tatsächlich ein bewegender Tribut an goldene Grand-Prix-Zeiten.

Dieser Abend wird eher nicht in die Geschichte eingehen — aber auch nicht im negativen Sinne. Fünf Kandidaten hatte sich der NDR ausgesucht, die ein vergleichsweise großes Spektrum aktueller Popmusik abdeckten, aber auch nur in der Breite. Qualitativ schwankten alle Beiträge in einem langweiligen Mittelfeld zwischen belanglos, unauffällig und enttäuschend. Marquess spielten traurigen pseudo-spanischen Urlaubspop, Cinema Bizarre traten mit einer Art stimmlosen T.a.t.U.-Cover auf, Tommy Reeve schläferte mit Kuschelpop am Klavier ein.


Foto: NDR

Echte Chancen hatten nur zwei: Die No Angels und Carolin Fortenbacher. Fortenbacher war unüberhörbar der Favorit im Hamburger Schauspielhaus, und der moderne Schlager, den Pe Werner für die stimmgewaltige Musical-Sängerin geschrieben hatte, war kraftvoll, pompös und gar nicht schlecht – wenn er nicht so einen unfassbar langweiligen Refrain hätte. Am Ende musste sie sich den No Angels geschlagen geben. Deren Siegertitel „Disappear“ ist sicher eine der schlechteren Nummern von ihnen, sehr austauschbar und egal, aber modern und unpeinlich. Und immerhin können sie mit ihren Kostümen interessante Umzieh- und Wall-Figuren machen und sehen gut in der Strömung der Windmaschinen aus. Ob die Europäer das sehen wollen? Es spricht so wenig dafür wie dagegen. Am schwierigsten dürfte die Hürde sein, sich an den Song bei der Telefonabstimmung überhaupt noch zu erinnern.

Was bleibt? Die, kaum übertrieben, einhundert Mal variierte Frage von Thomas Hermanns an alle Teilnehmer, ob sie aufgeregt seien (weniger als vorher? genauso viel? mehr als sonst? jetzt ganz besonders? immer noch?). Und die Vorstellungssätze und Lebensweisheiten von Marquess („Marquess ist Temperament, aber auch mit viel Gefühl dabei“), von Tommy Reeve („Es ist einfach sehr real„) — und vor allem von Cinema Bizarre: „Style is war“, sagten sie vor ihrem Auftritt. Sie müssen’s wissen.

Stefan, 6. März 2008, 23:24.

5 Kommentare


  1. Wenn ich mich recht entsinne, lautete der Satz komplett: „Style is war und der Eurovision Song Contest ist style“, oder so ähnlich. Womit diese Kinder ausgesagt hätten, der Grand Prix sei Krieg. Sehr poetisch.

  2. Alberto Green,

    Vermutlich Krieg gegen den Warschauer Pakt. Huch, jetzt habe ich auch Warschauer Pakt geschrieben…

  3. Hmm…hätte diesen Clowns keine Kenntnis der deutschen Black Metal Szene zugetraut. „Black Metal ist Krieg“ ist nämlich sowas wie ein Kultsong. Das zu „Eurovision Song Contest ist Krieg“ umzugestalten halte ich dann aber für gewagt.

  4. Waren das nicht mal 5 bei den No Angles?

  5. Daß Tetje singen kann hat er aber schon als Seele-Fant im „Urmel“ bewiesen … 😉



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