Dittsche

Seit 2004 (WDR). „Das wirklich wahre Leben“. Improvisations-Comedy von und mit Olli Dittrich.

Der 40-jährige Hamburger Arbeitslose Dittsche (Olli Dittrich) schlappt regelmäßig in Bademantel und Jogginghose zur „Eppendorfer Grill-Station“, seinem Stammimbiss, um die leeren Bierflaschen in seiner Tüte gegen volle auszutauschen. Während er die ersten zwei Flaschen gleich am Tresen leert („Kerl, das perlt aber heute wieder“), verwickelt er Imbisswirt Ingo (Jon Flemming Olsen) in ein Gespräch über Gott und die Welt, in dem er aus Brocken von „Bild“-Überschriften und halb verstandenen Fernsehberichten schwindelerregende Gedankengebäude errichtet und dem Begriff „gefährliches Halbwissen“ eine konkrete Dimension gibt. In den Worten von Ingo: „Das ist dein Problem: Du hörst viel, aber weißt nichts.“

Mühelos schafft Dittsche es, einen Bogen von der angeknacksten deutsch-italienischen Freundschaft zum Verfallsprozess von Kartoffelsalat zu schlagen oder von den „Ausdünstungen“ der Würstchen über „Dispersitionsfarbe“ zu den Bochumer Tauben, die alle schwul geworden sind. An einem Stehtisch trinkt derweil Stammgast Schildkröte (Franz Jarnach alias Mr. Piggi) schweigend sein Bier. (Er heißt „Schildkröte“, weil ihm sein Schwager aus der DDR eine Krokodilimitat-Jacke geschenkt hatte, mit der er aussieht wie ein Ninja Turtle aus einem Überraschungsei.)

Dittsche besteht aus nichts als dem Gespräch im Imbiss, gefilmt scheinbar von Überwachungskameras in farbarmen Beigebrauntönen. Es gibt kein Drehbuch, das meiste ist improvisiert, was die Situation zusammen mit Dittrichs Verwandlungstalent beängstigend realistisch wirken lässt. Dittsche ist eine innovative Satire, die nicht von Pointen lebt, sondern von der Genauigkeit, mit der sie die Absurdität des Lebens abbildet, vergleichbar mit Blind Date. Die Figur des Dittsche stammt aus Dittrichs ZDF-Reihe Olli, Tiere, Sensationen. Die Folgen der ersten Staffel wurden mit so kurzem Vorlauf produziert, dass er Stellung nehmen konnte zu den aktuellen Themen der Woche. Seit der zweiten Staffel wird live gesendet. Als Stargäste kamen u. a. Wladimir Klitschko, Rudi Carrell und Uwe Seeler vorbei.

Dittrich hatte es lange schwer, für diese spröde und kompromisslose Form einen Sender zu finden; der WDR räumte ihm schließlich am Sonntagabend um 22.30 Uhr ein Plätzchen frei und wurde mit einer überschaubaren, aber treuen Fangemeinde belohnt. Mit der neunten Staffel 2008 musste Dittsche den etablierten Platz räumen. Angesichts der Wahl, in der Nacht oder am Samstag zu senden, wählte Dittrich notgedrungen den Samstag. Die ARD wiederholte die Folgen ab Februar 2005 jeweils am folgenden Tag gegen 0.30 Uhr — mit erstaunlich guten Einschaltquoten. Auch im NDR und im HR lief die Reihe.

2004 wurde Dittsche als beste Comedy mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet, 2005 mit dem Grimme-Preis mit Gold. Die Titelmusik ist „Stand By Your Man“ von Tammy Wynette.

5 Kommentare


  1. Andreas Zeller,

    Letztens sass Ditsche offenbar im Knast. Was war/ist passiert?

  2. Er saß wegen angeblicher Geldfälschung (letzte Folge der 8. staffel).

    Der neue Sendeplatz ist echt mies. Dittsche war der perfekte Wochenabschluss und eine ganz besondere Reflexion derselbigen. Schade drum-aber samstags wird trotzdem geguckt.

  3. Ich meine gehört zu haben, dass die nächste Staffel wieder sonntags ausgestrahlt wird. Egal, ich werd’s mir eh nicht mehr ansehen. Die letzten beiden Staffeln fand ich ziemlich enttäuschend. Die Gags werden immer alberner und sind mittlerweile fast nur noch platter Klamauk. Es war mal eine wirklich großartige Serie, aber irgendwie ist einfach die Luft raus. Wir Zeit für was neues, Olli!

  4. Die Titelmelodie ist nicht die Version von Tammy Wynette, sondern von den Dixie Chicks

    Wer erzählt, dass die Gags alberner werden und nur noch platter Klamauk sind, hat das Wesen von „Dittsche“ nicht kapiert: es geht nicht um Gags, die gesamte Absurdität des Gesamtkunstwerks „Dittsche“ ist das Besondere. Die Kameras, das Überperlen, die Abschlussfrage an Schildkröte . . . eigentlich ist „Dittsche“ keine Sendung, sondern ein Ritual. Daher kann sie nur schlecht werden, wenn einer der drei Darsteller aussteigen sollte

  5. Ich habe das Wesen der Sendung sehr gut kapiert und war lange Zeit ein großer Fan, aber ich billige mir zu, feinen, subtilen, hintergründigen Humor (wie in den ersten Staffeln) von oberflächlichem Holzhammer-Klamauk (wie in den späteren Staffeln) unterscheiden zu können.
    Man mag „Dittsche“ vielleicht nicht als Comedy-Sendung, sondern als Kusntwerk sehen, das bleibt jedem selbst überassen, aber ich sehe es in erster Linie als Unterhaltung und Comedy-Sendung, und da ist es nunmal einfach so, dass die Gags mittlerweile doch recht öde und abgestanden wirken. Dittsches Theorien zu Bild-Schlagzeilen, seine Geschichten mit Kergers und Westphals, seine Erfindungen, das hat es alles schon zigmal gegeben und ist sowas von vorhersehbar geworden, und die Möglichkeiten der Sendung sind auch zu begrenzt, um etwas neues, überraschendes einzufüren. Meiner Meinung nach ist für das Format die Zeit abgelaufen, und Olli sollte lieber etwas neues bringen, anstatt diese anfangs mal wirklich gradiose Serie endgültig and die Wand zu fahren. Das ist und bleibt meine Meinung (und ist noch sehr nett formuliert).



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