Das Holodeck von CNN

Natürlich ist es geschichtlich nicht ganz unbedeutend, dass in der vergangenen Nacht zum ersten Mal ein Schwarzer zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, aber das eigentlich historische Ereignis war zweifellos, dass CNN zum ersten Mal Korrespondenten in sein Wahlstudio beamen ließ. Gut, „beamen“ trifft es nicht ganz, und auch der Begriff „Hologramm“, den CNN benutzte, ist technisch gesehen nicht korrekt, denn das Abbild der Korrespondenten war im Studio nicht sichtbar, sondern entstand erst im Fernsehbild. Aber das sind Kleinigkeiten angesichts dieses revolutionären Einbruchs der Science-Fiction in unsere TV-Gegenwart:

Später wiederholte CNN den Trick mit dem Rapper will.i.am.

Die Technik ist, wie man an den unsauberen Umrissen sieht, noch nicht ausgereift, aber der Aufwand ist gigantisch. Die Korrespondenten stehen, umgeben von 35 Kameras, die sie von allen Seiten filmen, in einem Raum. Mehrere Computer errechnen aus den Bewegungen der Kameras im Studio den richtigen Blickwinkel der Aufnahmen vor Ort und überlagern die Bilder.

Das Ergebnis ist ebenso bizarr wie sinnlos. CNN-Moderator Wolf Blitzer erklärte der Korrespondentin Jessica Yellin (die sagte, sie fühle sich wie Prinzessin Leia in „Star Wars“), das sei angenehm, sich so in Ruhe unterhalten zu können — ohne die lärmenden Menschenmassen, die sonst hinter ihr stünden. Aber erstens sind lärmende Menschenmassen oder auch nur das Live-Bild eines irgendwie relevanten Gebäudes im Hintergrund in neunzig Prozent der Fälle genau der Grund, warum man überhaupt zu einem Korrespondenten vor Ort schaltet: um eine Illusion von Nähe zu einem Ereignis zu schaffen. Und zweitens hätte sich die Korrespondentin für ein ruhiges Gespräch auch einfach in ein Zimmer in der Nähe zurückziehen und vor eine ordinäre Kamera stellen können.

Aber dann hätte natürlich niemand gesagt: Boah, was die bei CNN können!

Stefan, 5. November 2008, 21:33.

11 Kommentare


  1. Recht hast du.

    Aber wetten? RTL lässt sich inspirieren und beamt bald Ross Anthony ins Punkt 9-Studio?

    …nur so ’ne Vermutung…

  2. Sind die „unsauberen Umrisse“ wirklich ein Zeichen für die technische Unausgereiftheit? Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Effekt durchaus erwünscht ist. Erstens um das neuartige „Beamen“ überhaupt sichtbar zu machen und damit auf den technischen Fortschritt bei CNN hinzuweisen. Zweitens um die die Illusion als bewusstes Fake zu kennzeichnen und damit auch einen Anschein von Seriösität zu erzeugen. Zu echt wirkende Tricks könnten ja durchaus Zweifel an anderen Beiträgen erzeugen.
    Nur so eine Vermutung.

  3. Es war albern und hatte keinen Sinn, außer noch mehr Technologie-Overkill-WirsindjasomodernbeiiCNN zu zeigen. Da hab ich doch lieber Claus Kleber zugehört, der erklärt hat, was es mit diesem Internetdings so auf sich hat.

  4. Ich würde auch sagen, die blauen Umrisse sind gewollt, damit es eben wie bei „Star Trek“ (Beamen) oder „Star Wars“ (Hologramm) aussieht (in der zweiten Schalte mit Willi hatte Anderson Cooper so etwas auch angedeutet).
    Und ja, es ist sinnfrei (fast so sinnfrei, wie der virtuelle Kongress) aber grandios. Boah, was die bei CNN können!

  5. Quark. Die Umrisse waren nicht gewollt. Es waren ja auch nicht die Umrisse alleine. Die Frau bewegte sich nur mit paar Frames pro Sekunde. Vermutlich war die schiere Datenmenge zuviel für die Technik (Rechner oder Leitungen) gewesen. Es waren ja sogar HD-Kameras. Da kommt schon einiges an Bytes zusammen.

    (An der Stelle könnte man auch pilosophieren, ob eine deutsche Berichterstattung über Wahlen in den USA nicht genauso eine Illusion von Berichterstattung ist)

  6. Stimme Justus zu, die Umrisse sahen mir technisch gewollt aus, um als Reminiszens and Star (Wars|Trek) mehr nach Beamen oder Hologramm auszusehen. More Cowbel^WCoolness. Sowas liesse sich ansonsten definitiv bedeutend randloser einstanzen. Aber egal, in der Praxis war es natürlich völlig sinnfrei, geradezu albern.

    CNN war ansonsten hierzulande sicherlich „am nächsten dran“, auch wenn die deutschen Sender weitgehend als Aggregatoren der Ergebnisse und Prognosen der US-Sender fungierten und damit breiter fächern konnten.

    Bei der BBC war’s zeitweise ganz spassig, wenn auch trocken. Mitunter war es gut dass der Studiotisch so gross war und die Gäste dadurch weit voneinander getrennt sassen…

    Phoenix erschien mir entäuschend dünn, das war fast schon Meta-Berichterstattung, als Diskussion über die Übernahme des Programms vom ZDF.

    Die ARD glänzte mit weitgehender Kompetenz, wenn auch etwas trocken, hatte aber auch mal Aussetzer. Als McCain seine Niederlage eingestand und man andernorts live dabei war, sass man im Ersten noch in gemütlicher Plauderrunde geleitet von einer Sportmoderatorin.

    Beim ZDF kann man zweifellos den Preis für die hemdsärmeligste und lockerste Übertragung einstreichen. Nah an den Zahlen und nah an den Menschen. Weitgehend gut.

    RTL/n-tv klöppelte sich eine sehr trockene und zeitweilig sichtlich müde, anderweilig recht enthusiastische und analytische Übertragung zusammen. Hätte etwas mehr Leben gebrauchen können, war aber nicht unerträglich.

    Sat.1/N24 versuchte mit überkandidelter Simulation von Kompetenz zu glänzen, was gelegentlich nicht funktionierte. Insbesondere die eigenen Analysen an der grossen Monitortafel waren mitunter von Gefasel abseits der Realität geprägt. Man hatte ständig den Eindruck, dass die meisten Figuren dort nicht wirklich verstanden, was da jeweils vor sich ging.

    Und dann war da noch TV5, die irgendwas auf Französisch gemacht haben.

  7. Pillepalle!
    Die
    DGzRS – Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger
    beamt immmer- ohne Fuzzis/Fuzzas!
    1A Bilder, wenn die See das Deck holt! Und die Lierhaus!
    Opfer müssen sein…

  8. Um einmal Stefan Niggemeier zu zitieren:

    Sie sind ungefähr immer Unsinn, diese Live-Schaltungen in Nachrichtensendungen zu bemitleidenswerten Reportern vor Ort, die schon deshalb nicht mehr wissen als ihre Kollegen in den Redaktionen, weil sie die ganze Zeit irgendwelche Live-Schaltungen in Nachrichtensendungen absolvieren.

    Die Hologramme mögen ziemlicher Unsinn sein. Allerdings muss man offenbar Technik mögen und auch einmal danebengreifen dürfen, um sie auszuprobieren und zu sehen, wo sie sinnvoll und überzeugend eingesetzt werden kann. Es gab doch diese schöne Zauberkarte, die zuerst an den Film „Minority Report“ erinnerte, aber tatsächlich im echten Leben zu gebrauchen war. Und ein weiteres Mal überzeugte CNN, wie Lukas im Liveblog berichtete:

    01:03 Uhr: Diese Auswertung bei CNN sieht faszinierend aus. So viele Zahlen, Statistiken, letztlich ja Menschen in einer Grafik. Die könnten vermutlich sagen, wie grauhaarige Hausmeister mit dem Sternzeichen Fische gewählt haben.

  9. Föllig Vurchtbar war die Superduperscreen-o-matic-Wand im zdf-Spezial, neben der Christian Sievers wie ein kleiner Junge aussah.
    … Andererseits sieht Christian Sievers immer wie ein kleiner Junge aus.

  10. […] ich musste echt lachen, als ich das hier […]

  11. […] dem Holounsinn von CNN war der Auftritt von Claus Kleber aus dem heute.journal ja gerade zu beschämend mit seiner […]



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