Debakel: Allzeit-Tief für „Wetten, dass…?“-Nachberichterstattung

Wenn man die Schlagzeilen über Zuschauerzahlen und Marktanteile auf den Medienseiten verfolgt, bekommt man seit ein paar Jahren den Eindruck, Wetten, dass…? und Deutschland sucht den Superstar gehörten zu den Sendungen mit den größten Quotenproblemen im deutschen Fernsehen. Beispiel Wetten, dass…? von gestern Abend:

– „Schlechteste Quote“ („Bild“)
– „Debakel“ („Stern“)
– „Miserable Quoten“ („Focus“)

Das ist bemerkenswert, denn Wetten, dass…? und Deutschland sucht den Superstar gehören zu den quotenstärksten Sendungen im deutschen Fernsehen.

Sicher, beide Shows haben heute nur noch etwa halb so viele Zuschauer wie vor zehn Jahren. Das macht sie aber noch immer nicht zu Flops. So groß war nämlich einst ihr Vorsprung, dass sie selbst nach Verlust der Hälfte ihres Publikums noch immer in der Spitzengruppe mitspielen. Die Jahre dazwischen, in denen die Quoten allmählich auf das heutige Niveau sanken, boten allerdings immer und immer wieder die Gelegenheit, auf neue Quoten-Tiefstwerte hinzuweisen. Denn wenn eine Kurve stetig nach unten geht, erreicht man neue Tiefpunkte oft. Gerade Publikationen wie „Bild“, „Stern“ und „Focus“, die sich sabbernd auf die immer neuen „Debakel“ stürzen, müssten das wissen, denn ihre Auflagenkurve geht seit Jahren ungefähr so steil und stetig nach unten wie die Quoten der genannten Shows.

Eingebüßt haben die beiden Shows lediglich ihre einstige Sonderstellung – zumindest aus Quotensicht. Waren sie einst einsame Spitzenreiter, sind sie heute Teil einer größeren Spitzengruppe, zu der z.B. auch die ZDF-Samstagskrimis, Der Bergdoktor, Um Himmels Willen und Wer wird Millionär? gehören. Die Sonderstellung gehört momentan dem Tatort und Ich bin ein Star – holt mich hier raus!, zwei Reihen, denen trotz fortgeschrittenen Alters das Kunststück gelungen ist, seit Jahren kontinuierlich steigende Quoten zu verzeichnen.


Liest aus Langeweile gerade eine Ansichtskarte: Markus Lanz
(hier mit einer stadtbekannten Karlsruher Schlägerin).
Screenshot: ZDF

Komplett ist der Ausnahmestatus vor allem von Wetten, dass.? aber auch mit Markus Lanz noch nicht dahin: Zumindest die Berichterstattung räumt der Show noch immer Platz ein, als sei sie weiterhin das Ereignis, über das am nächsten Tag alle sprechen, wie die ständigen Quotenstandsmeldungen zeigen, aber auch die zuverlässig erscheinenden Nacherzählungen nach jeder Sendung.

DSDS ist mittlerweile in der Normalität angekommen. Es gibt keine Quotenrekorde mehr, keine Sensationen, und auch keine empörten Aufschreie, wie Peer Schader bereits gestern bei DWDL schilderte. Die Entwicklung verläuft parallel zur amerikanischen Version American Idol, der der Variety-Kolumnist Brian Lowry diese Woche ans Herz legte, sich mit dem neuen Status abzufinden, kein Phänomen mehr zu sein, sondern nur noch ein Hit. Dann kann sie noch lange überleben. Dann muss nämlich nicht bei jedem kleinen Quotenrückgang das Gesamtkonzept in Frage gestellt werden. Wer einsieht, dass man nicht Bayern München ist, muss auch nicht gleich den Trainer feuern, wenn man mal nur Zweiter wird.

DSDS scheint das inzwischen verstanden zu haben (abgesehen vom ständigen Wechsel der Co-Trainer) und setzt im Wesentlichen auf das bewährte Format. Auch Wetten, dass…? hat einige der Änderungen rückgängig gemacht, die dazu gedacht waren, ein jüngeres Publikum zu erreichen, die stattdessen aber Teile des älteren Stammpublikums vergrault haben. Wer endlich aufhört, Programm für ein Publikum zu machen, das man gar nicht hat, sondern sich wieder um die kümmert, die „ihre“ Sendung ja wahrscheinlich nicht grundlos immer noch einschalten, kann noch lange erfolgreich senden. Die Quoten von DSDS haben sich in diesem Jahr wieder etwas erholt, die von Wetten, dass…? sind nach einem monatelangen stetigen Rückgang nun schon seit einem halben Jahr weitgehend konstant, auch wenn es gestern noch mal ein bisschen nach unten ging.


Gucken gerade Fernsehen: RTL-Zielgruppe (innen); ZDF-Zielgruppe (außen).
Foto: RTL

Es ist auch nicht so, als sei die Quotenentwicklung eine Überraschung. Irgendwann büßt jede Show einmal den Sensationsstatus ein. Wer wird Millionär? ging es so und lebt trotzdem ganz gut weiter, zumindest solange Günther Jauch die Fragen stellt. Wetten, dass…? zeigte schon deutliche Abnutzungserscheinungen, als Thomas Gottschalk noch moderierte, der zuletzt nur noch um die acht Millionen Zuschauer erreichte. Und doch war klar, dass sein Ausstieg keinen Aufschwung zur Folge haben würde. „Markus Lanz wird diesen Status kaum halten können. Die Sonderstellung wird verlorengehen. Aber selbst wenn die Show noch zwei oder drei Millionen Zuschauer verliert, was mittelfristig wahrscheinlich ist, macht das nichts. Ihr Vorsprung war so groß, dass Wetten dass…? gemessen am Programmumfeld sogar dann noch ein Erfolg wäre“, schrieb vor zwei Jahren bei der Ernennung von Lanz zum neuen Moderator ein sehr weiser Mann, also ich. Allerdings schrieb ich im gleichen Text sinngemäß auch, Markus Lanz sei eigentlich ein ganz passabler Moderator und könne Interviews führen. Gut, jeder macht mal Fehler.

Auch Markus Lanz hat Fehler gemacht. Neben seiner Berufswahl wäre zu nennen, dass er sich viel zu oft in seinen eigenen Sendungen mit der Kritik an seinen Sendungen und mit den Einschaltquoten befasst. Eine Marotte, die er von Thomas Gottschalk übernommen hat. Beide thematisierten regelmäßig vor einem Millionenpublikum Inhalte, die bis dahin nur auf Medienseiten erschienen waren. Medienseiten werden aber fast ausschließlich von Medienjournalisten gelesen, und vielleicht von ein paar hunderttausend anderen, wenn’s hoch kommt. Das ist nichts gegen die mehreren Millionen, die die eigentlichen Sendungen sehen, sich aber nicht mit deren Hintergründen befassen. Diese Normalzuschauer wurden durch die Moderatoren überhaupt erst darauf aufmerksam gemacht, dass es eine „öffentliche“ Kritik gibt und das Einschaltinteresse nachgelassen hat. Die vielen verbliebenen Zuschauer mit unverändertem Einschaltinteresse erhielten erst dadurch die Chance, sich darüber Gedanken zu machen, warum es sich bei anderen anders verhielt. Auf diese Weise waren es letztlich nicht wir Medienjournalisten mit unserer Handvoll Leser, sondern die Moderatoren mit ihrem Millionenpublikum, die ihre eigenen Sendungen niederredeten, indem sie die Kritik ernst und sich erkennbar zu Herzen nahmen, und damit eine Dünnhäutigkeit zeigten, die man als Fernsehmoderator ebensowenig haben darf wie als Politiker oder Musiker. Es wird immer Schwätzer wie mich geben, die sie nicht mögen. Na und? Niemand zwingt mich, es anzusehen. Und wie schon gesagt: Die Sendungen sollen ja für diejenigen gemacht werden, die sie sich ansehen, und nicht für die anderen.

Einen Schritt in die richtige Richtung machte Markus Lanz, als er sich gestern in einer subtilen Randbemerkung über die Online-Petition lustig machte, die gerade seine Absetzung fordert. Es ging um die vielen Baustellen in der Austragungsstadt Karlsruhe, und Lanz sagte, falls jemandem die Situation nicht passe, könne er ja „eine kleine Online-Petition“ machen.

Das ist der richtige Ansatz. Was schert Markus Lanz eine unqualifizierte Petition mit 200.000 Unterzeichnern? Dagegen stehen aktuell 6,31 Millionen Zuschauer. Eine demokratische Entscheidung sollte es sein? Hier ist das vorläufige amtliche Endergebnis: Lanz hat gewonnen.

Ob sie gut ist, ist jetzt nicht die Frage, aber Lanz und das ZDF sollen sich bloß nicht einreden lassen, ihre Show sei kein Erfolg. Die meisten anderen Sendungen wären glücklich, wenn sie einmal wie Wetten, dass…? auf Zahlen über sechs Millionen kämen. Und bestimmt auch einige andere Medien, zum Beispiel die Bild-Zeitung (aktuelle verkaufte Auflage: 2,31 Millionen), der „Stern“ (0,77 Millionen) oder der „Focus“ (0,51 Millionen).

Michael, 26. Januar 2014, 13:53.

6 Kommentare


  1. So schaut’s aus.

  2. Ja, das ist in etwa der Grad an Subtilität, den man von ihm erwarten kann. Hui wie clever. So ein verschmitzter Schelm aber auch.

  3. Im Prinzip ist das alles gut und richtig. Es gibt jedoch nur ein Problem bei der Sache: Das ZDF sieht das ganz anders.

    Bei allen Äußerungen aus dem Haus in der letzten Zeit, und besonders beim Engagement von Lanz, hat man doch immer getönt, dass man mit der Sendung wieder wirklich die ganze Nation vor dem Fernseher vereinen möchte, wie das zu den seligen Elstner-Zeiten einmal war.

    Dass das mit dem gewählten Moderations-Dilettanten, der weder sich selbst, noch andere halbwegs vernünftig unterhalten kann, ein Ding der Unmöglichkeit ist, kann und will man auf dem Lerchenberg offensichtlich gar nicht einsehen. Hinzu kommen dann noch die bereits geschilderten Gründe. Auf dem Lerchenberg schwebt man irgendwie noch in anderen Sphären. Und da spiegeln dann diese Katastrophenschlagzeilen schon den übersteigerten Selbstanspruch des ZDF wieder.

  4. Viel wichtiger als die Quote wäre für mich die Frage: Finden die Verantwortlichen das was sie machen eigentlich selbst gut, würden sie ihre eigene Sendung selbst auch gerne sehen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass viele der Wetten Dass Macher Cindy aus Marzahn oder Eiswürfel in der Unterhose wirklich gut fanden. „Das muss man halt machen, weil das junge Publikum so etwas sehen will“, was für ein Quatsch.

    Das ZDF soll Wetten Dass doch einfach so lassen wie es ist und stattdessen Energie in neue Show Formate stecken. Da kommt ja seit Jahren ungefähr gar nichts, deswegen wird auch so viel über die einzig verbliebene Samstagabend Show diskutiert. Hätte man davon zwei oder drei im Programm, wäre Lanz wohl kaum so ein Thema.

  5. Ja und nein.

    Das hört sich fast so an, als sei es ein Verdienst von Lanz, mittlerweile – es gab eine weitere Sendung Mitte Februar – 5,85 Millionen Zuschauer vor den Fernsehern zu versammeln (quotenmeter.de bemäkelt, der ARD-Brennpunkt zur selben Zeit habe mehr Publikum gehabt) – schließlich moderiert er ja immer noch eine der meistgesehenen Schauen im deutschen TV. Das Problem ist aber, dass das die Entwicklung komplett außer acht lässt. Etwa getreu dem Witz „Wie macht man ein kleines Vermögen an der Börse? – Indem man ein großes verzockt“ ist hier aber Kritik durchaus berechtigt: Warum ging es seit der Übernahme durch Lanz – und geht es weiterhin – rapide und fast ausnahmslos bergab? Cindy aus Marzahn mag ihr Scherflein dazu beigetragen haben, aber der Absturz geht ja weiter. Es muss wohl damit zusammenhängen, dass die Verzichtbarkeit der Sendung (die mittlerweile mangelnde Tagesgesprächtauglichkeit) vielen Leuten offenbar wurde. Warum soll ich eine Sendung sehen, wenn sie sowieso nur mediokren Unterhaltungswert bietet (gemessen an der Alternative Internet) und ich trotzdem am nächsten Tag nichts verpasst habe und – eben über andere Themen – mitreden kann? „Wetten, dass…?“ war ein Selbstläufer, weil es sozial unverzichtbar war. Und hat nun das Problem, für verzichtbar, ja, gar uncool gehalten zu werden (jedem Hobby-Medienspindoctor war doch schon im Vorfeld klar: ein Gegensteuern hätte spätestens früh 2013 erfolgen müssen, ein paar gezielte Aufreger kurz nach dem Wechsel der Moderation). Die großen Printmedien haben mittlerweile darauf reagiert und ihre Vorberichterstattung entsprechend verknappt. Dass ein politisch vorbelasteter Moderator, der zwar wie aus dem Ei gepellt aussieht und sauber vorlesen, aber eben mitnichten moderieren kann, in gockelhaft anmutender, selbstherrlich-angestrengter und -anstrengender Facon durch den Abend führt, ein „Moderator“, der ein enorm hartes Erbe antritt (nicht wegen Gottschalk, sondern ob der medialen Erwartungshaltung), ist da sicher nicht zuträglich.

    Und so ergibt sich für eine mögliche Änderung das grundlegende Motto dieses Kommentars: besser spät als nie!

  6. Lanz macht keine Fehler. Lanz ist der Fehler.



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