In Memoriam Tim Russert


Screenshot: NBC

Amerika trauert um den Politjournalisten Tim Russert. Russert moderierte bis zuletzt den US-Polittalk Meet The Press und war eine amerikanische Institution innerhalb einer Institution. Die Sendung selbst gibt es seit 61 Jahren und ist die weltweit älteste Fernsehsendung. Russert moderierte sie seit 17 Jahren, viel länger als alle seiner Vorgänger. Er starb plötzlich, war erst 58 Jahre alt. Am Freitagnachmittag brach er im Studio zusammen, während er die Sendung für morgen vorbereitete.

Meet The Press wird gern als Vorbild für den deutschen Presseclub genannt, was nicht dadurch richtig wird, dass die Titel so ähnlich klingen und beide Sendungen sonntags am Vormittag oder Mittag laufen. Man kann Tim Russerts Stellenwert schlecht verdeutlichen, wenn man sich als deutsches Gegenstück zum Beispiel Peter Voß vorstellt. Aus so unglaublich vielen Gründen. Während sich im deutschen Presseclub die Presse trifft und unter sich bleibt, treffen in Meet The Press hochrangige Politiker auf die Presse und stellen sich den Fragen. Inhaltlich ist die Show also näher am Sonntagabend-Talk der ARD als am Presseclub, nur eben mit hochrangigen Politikern. Und Fragen. Und einem informierten und motivierten Moderator, den Time Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen weltweit zählte. (Andererseits nennen die Amerikaner auch ihre nationale Baseballmeisterschaft Weltmeisterschaft, aber das ist jetzt nicht das Thema.)

Niemand, der in Washington wichtig ist, wurde von Russert nicht vernommen. Das ist eine oft benutzte Floskel, die in diesem Fall mal stimmt.

Präsident George W. Bush, Ex-Präsident Bill Clinton, die Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain und viele andere wichtige Persönlichkeiten drückten öffentlich ihre Trauer aus. Alle priesen Tim Russert als einen der herausragenden Journalisten unserer Zeit und für seine Fairness in seiner Berichterstattung und seinen hartnäckigen Interviews. Richtig: Russert war hart, aber fair.

Er hatte neben seiner Sonntagssendung immer wieder Kandidatendebatten im Präsidentschaftswahlkampf oder Vorwahlkampf moderiert, trat an Wahlabenden mit seiner Einschätzung auf, mit der er oft scharfsinniger und schneller war als andere, und war auch im aktuellen Wahlkampf einer der prominentesten Berichterstatter. Ferner war er der Washingtoner Büroleiter des Senders NBC, der gestern Nachmittag sein Programm unterbrach, um von Russerts Tod zu berichten.

Die NBC-Hauptnachrichten am Abend behandelten kein einziges anderes Thema, was vielleicht vermessen und nach Selbstbeweihräucherung klingt und wohl auch geringfügig übertrieben ist, aber tatsächlich die Nachrichtenlage recht gut reflektierte. In den USA gab es gestern kein wichtigeres Thema. Auch bei den Konkurrenten ABC und CBS war Tim Russerts Tod der Aufmacher, selbst CBS widmete dem Thema mehr als die Hälfte der Sendezeit seiner Hauptnachrichten.

Russerts plötzlicher Tod führte zu einigen Merkwürdigkeiten in der Berichterstattung. Brian Williams moderierte die nach ihm benannten NBC Nightly News with Brian Williams live von der Bagram Air Base in Afghanistan, was ungefähr darauf hindeutet, welche Inhalte ursprünglich geplant waren. Stattdessen wurden sämtliche Beiträge und Interviewpartner aus New York und Washington zugeschaltet. Moderatorin Katie Couric, Namensgeberin der CBS Evening News with Katie Couric, hatte gestern zwar frei, weshalb Harry Smith sie vertrat, wurde aber in ihrer eigenen Sendung interviewt, um ihre Erinnerungen an Tim Russert zu teilen.

2004 machte Russert auch seinen Vater landesweit berühmt, einen ehemaligen Müllmann mit dem Spitznamen „Big Russ“. Tim Russert veröffentlichte seine Kindheitserinnerungen in einem Buch, das er „Big Russ And Me“ nannte und ein Nr.1-Bestseller wurde.

In diesem Zusammenhang abschließend ein Ausschnitt aus Meet The Press, über den Amerika vor einem Monat herzlich lachte. Russerts Gast war Hillary Clintons Wahlkampfmanager Terry McAuliffe, der zu überzeugen versuchte, dass Hillary Clinton Präsidentin werden könne.

Es ist nicht unmöglich, dass Hillary Clinton noch gewinnt! Auch wenn viele Leute das sagen. Wenn Big Russ jetzt hier säße, er würde sagen: „Nichts ist unmöglich!“ Jack McAuliffe auch, wenn er heute bei uns wäre. Die beiden sitzen jetzt wahrscheinlich im Himmel, trinken einen Scotch, schauen auf uns herab und sagen: „Genau! Der Kampf geht weiter!“

Leider hatte die flammende Rede zwei Schönheitsfehler: Hillary Clinton hatte auch zu diesem Zeitpunkt rechnerisch bereits keine Chance mehr, Präsidentschaftskandidatin der Demokraten zu werden. Und Big Russ lebt noch.

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Michael, 14. Juni 2008, 20:32.

4 Kommentare


  1. Tim Russert war das, was Journalisten eigentlich sein sollten, es heutzutage aber irgendwie häufig nicht mal annähernd sind. Vielleicht nehmen einige ja seinen Tod zum Anlass, sich daran zu erinnern, was sie im Laufe der Zeit so alles vergessen haben – wie z.B. ihre Ausgeglichenheit und ihren Hunger nach Wahrheit, und das Wissen darum, dass sie bei aller Wichtigkeit ihres Berufsstandes in erster Linie Dienstleister an der Demokratie sind, und nicht Selbstzweck ihres eigenen Egos.

  2. Ich kann die Begeisterung für den Menschen Russert teilen, aber nicht für die Sendung, die aufgrund ihrer wöchentlichen Ausstrahlung & Länge sehr häufig nichtige Details stark überhöhte. Die Sendungen in den letzten 12 Monaten zu sehen bzw. hören (Podcast) war eine Qual, die ich mir später nicht mehr gegeben habe. Russert war keiner der überraschte. Aber detailsversessen und fundiert.

    Die Kritik relativiert sich vermutlich, wenn man in den USA wohnt und noch weitaus stupidere Formen der Politikabhandlungen im TV kennt.

  3. Man mag dem Sonntagabend-Talk in der ARD viel vorwerfen können, aber nicht das Fehlen hochrangiger Politiker. Es sitzt meist ein Bundesminister, Parteichef oder Ministerpräsident bei Anne Will in der Runde. Falls nicht, dann oft der entsprechende Experte der Partei zum Thema der Sendung.

    Das führt übrigens nicht notwendigerweise zu besseren Gesprächen. Aber wie Anne Will irgendwo mal Interview sagte – fehlen bekannte Gesichter, beschweren sich die Zuschauer über die unbekannte Zusammensetzung der Talkrunde.

  4. @Karl

    Es geht im Text nicht darum das Gäste wichtig oder unwichtig sind, es geht darum das bei Russert Fragen gestellt wurden und nicht rumpalavert wird wie bei Plasberg, Illner, Will und damals Christiansen. Bei denen hatte man die gleiche Meinung vorher wie nachher, nachdem man sich die Sendung angeschaut hat. Bei Russert hatte man oft neue Sichtweisen dargeboten bekommen.

    Es ist auch richtig, das Ministerpräsidenten, Minister oder Parteichef in Deutschland vom Rang her wichtig sind, werden aber in Sendungen wie Illner und Will durch andere umsitzende Gäste (Aktivisten, Betroffenheitscouch bei Will) deutlich in ihrer Wichtigkeit degradiert werden, da sie nicht allein auftreten, wie es bei Russert üblich war, Einzelinterviews mit solchen Personen zu führen.



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