Show ging doch nicht an die Nieren

Und plötzlich sind alle erleichtert und sogar voll des Lobes. Alle, die eben noch lauthals Zeter und Mordio keiften.

Sie haben von dieser ominösen Endemol-Show gehört, in der im niederländischen Fernsehen eine todkranke Frau darüber entscheiden sollte, wer von drei Bewerbern ihre Niere erhält? Ja… Schwamm drüber.

Die Show war ein Bluff. Eine Inszenierung. Erfunden. Eine PR-Aktion. Und dadurch plötzlich doch eine ganz nützliche Veranstaltung, die für Organspenden warb. Die vermeintlich Todkranke war eine Schauspielerin. Die Nierenpatienten waren echt, aber eingeweiht, was dem Zweck vermutlich noch mehr diente, als wenn auch dies Schauspieler gewesen wären. Auf diese Weise fehlte der Show der als menschenverachtender Organhandel kritisierte Aspekt, brachte den Zuschauern aber dennoch das Schicksal dreier Menschen näher, die auf eine Spenderniere angewiesen sind und warten. Vielleicht hat der ein andere Zuschauer nun beschlossen, doch Organspender zu werden. Heute ist übrigens der „Tag der Organspende“.

Der Blick in die Fernsehgeschichte bringt auch in Deutschland drei Beispiele zu Tage, mit denen die Zuschauer gefoppt wurden. Zweimal, weil sie’s nicht kapiert haben (Das Millionenspiel und Smog), und einmal mit Absicht (Private Life Show). Die drei Texte aus dem Buch gibt’s jetzt frisch online.

Michael, 2. Juni 2007, 09:01.

Private Life Show

1995 (ARD). Diese Sendung wurde als spektakuläre neue Show-Reihe und „hemmungsloser Seelenstriptease“ angekündigt, war aber in Wirklichkeit eine einmalige Satire von Michael Seyfried. In der fiktiven Show gehen Kandidaten mit Messern aufeinander los und prügeln sich, am Ende wird der Moderator (Burkard Driest) erstochen. Wie schon 25 Jahre zuvor Das Millionenspiel kritisierte die Private Life Show die immer drastischer werdenden Sendeformate im kommerziellen Fernsehen. Und wie damals durchschauten viele die Satire nicht. Einige der entsetzten Zuschauer alarmierten während der Ausstrahlung am späten Samstagabend die Polizei. Am darauffolgenden Montag musste der Saarländische Rundfunk mit der Erklärung an die Presse gehen, dass es sich um einen Fernsehfilm gehandelt habe.

Das Millionenspiel

1970 (ARD). Hellseherischer Fernsehfilm von Wolfgang Menge nach einer Sciencefiction-Kurzgeschichte von Robert Sheckley, in dem eine fiktive Spielshow gezeigt wird, bei der der Kandidat Bernhard Lotz (Jörg Pleva) Millionär werden kann, wenn er eine Hetzjagd durch Profikiller, angeführt von Köhler (Dieter Hallvorden), lebend übersteht. Der Moderator (Dieter Thomas Heck) ruft: „Toi, toi, toi den Killern und alles Gute dem Gehetzten!“

Viele Zuschauer missverstanden die Sendung als tatsächliche Spielshow und bewarben sich als Kandidaten. Erst nach 32 Jahren im Giftschrank wurde das Fernsehspiel 2002 im WDR wiederholt.

Smog

1973 (ARD). Fernsehspiel von Wolfgang Menge, in dem es um die fiktive Bedrohung durch verseuchte Luft ging. Viele Fernsehzuschauer hielten den Film für einen Tatsachenbericht und gerieten in Panik.

Menge musste es bereits gewohnt gewesen sein, dass man seine Fiktion ernst nahm. Seine Spielshow-Satire Das Millionenspiel drei Jahre zuvor hatten viele Zuschauer ebenfalls für die Realität gehalten.

Neuer Senderslogan?

Germany’s Next Topmodel (oder wie die Trailerstimme immer zu artikulieren schien: „Jeremy’s Next Topmodel“) ist endlich zu Ende, ab heute gibt es deshalb… (Trommelwirbel): Germany’s Next Topmodel! Und zwar aufregende Specials mit dem Untertitel „Was keiner sah“.

„Was keiner sah“ ist ein schönes Motto, unter dem Pro Sieben auch schon Lotta In Love, Dr. Psycho und Weeds zeigte.

Anschließend spielt Stefan Raab schon wieder mit Freunden Poker. Da sehen wir dann die größten Bluffs seit „We love to entertain you“.

Michael, 31. Mai 2007, 07:24.

Unentgeltliche Produktplatzierung

Mein Freund und Kollege Kai Karsten ist ein großer Fan von Grey’s Anatomy, was für mich nicht nachvollziehbar ist. Und das ist auch schon der fadenscheinige Fernsehzusammenhang, der vordergründig diesen Eintrag rechtfertigen soll, der aber eigentlich nur der plumpe Hinweis darauf ist, dass Kai Karsten ein wunderbares Buch geschrieben hat, das zwar fast nichts mit Fernsehen zu tun hat (außer dem Kapitel über Fernbedienungen), aber jetzt erhältlich ist.

Wenn Sie also sowieso gerade das Fernsehlexikon kaufen, packen Sie sich doch „Das Leben ist kein Lolli“ gleich mit ein. Und wenn nicht, dann auch.

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Michael, 30. Mai 2007, 12:17.

Selten so gelacht

Sagt der Sat.1-Geschäftsführer Matthias Alberti zum „Spiegel“:

Wir zerstören die Loyalität der Zuschauer, wenn wir immer schon nach ein paar Folgen die Reißleine ziehen.

Eine Riesenpointe, die den Sat.1-Funfreitag womöglich im Alleingang gerettet hätte.

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Michael, 29. Mai 2007, 18:54.

G-viertel-nach-8

Und da sagt man immer, die Privatsender kümmerten sich nicht um politische Themen. Anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm zeigt Sat.1 heute zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr… eine romantische Komödie. Nun gut.

In „Frühstück mit einer Unbekannten“ kommen sich Jan Josef Liefers und Julia Jentsch näher und engagieren sich nebenbei gegen Armut in Afrika. Außerdem spielt Iris Berben als Kanzlerin mit, was ihr die Chance gibt, auch dieses Jahr wieder für den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Iris Berben“ nominiert zu werden, den abwechselnd sie und Hannelore Elsner gewinnen.

Aber ich schweife ab.

Es ist natürlich nichts Schlechtes, ein bisschen Relevanz ins Unterhaltungsprogramm zu bringen. Die grandiose Vox-Serie Boston Legal macht jeden Mittwoch eindrucksvoll vor, wie man ernsthafte Auseinandersetzungen über Religionsfreiheit, Völkermord oder die Beschneidung von Bürgerrechten in eine Stunde herrlichen Klamauks einbettet.

Doch heißt das, dass Günther Jauch zu einer Spezialausgabe von Wer wird Millionär? bald vier Vertreter des Nahost-Quartetts begrüßt? Und dass bei Wetten, dass…? Til Schweiger raten muss, ob es dem Kandidaten Thomas aus Zug innerhalb von drei Minuten gelingen wird, mit einem Schaufelbagger den Klimawandel zu stoppen?

Ich bin sehr gespannt…

Michael, 29. Mai 2007, 07:24.

Wer wird endlich gehen?

Der Erfolg von Wer wird Millionär? liegt natürlich in Teilen darin begründet, dass man mit Kandidaten mitfiebert, die man mag. Aber auch darin, dass man anderen, die extrem nerven, eine falsche Antwort an den Hals wünscht und den Fernseher anschreit.

Insofern hat Frau Dr. Dingsbums-Doppelname vom der FDP beim Prominentenspecial ihren Job getan.

Zusatz 23.05 Uhr: Wow, und Dieter Bohlen ist nach Formalbildung (Formalbildung lässt sich ja zum Glück ganz leicht durch die Gewinnsumme bei Günther Jauch bestimmen) genauso klug wie Jürgen von der Lippe. Da kann also gleich wieder irgendwer den Untergang des Abendlandes herbeischreiben, und schon hat auch er seinen Zweck erfüllt. 

Michael, 28. Mai 2007, 21:17.

Pflaumes Liste

In der neuen Sat.1-Spielshow Rich List — Jede Antwort zählt müssen Kandidaten nicht nur möglichst viele richtige Antworten auf die gleiche Frage geben, sondern auch vorher korrekt prognostizieren, wie viele sie geben können.

Kai Pflaume steht dann anschließend da und versucht es spannend zu machen, ob die gegebenen Antworten wirklich richtig sind. Das ist natürlich etwas albern bei einer Kategorie wie „Länder, die mit S beginnen“. Wie viele Zuschauer saßen wohl vor dem Fernseher, nachdem die Kandidaten „Südafrika“ geantwortet hatten, und zitterten vor Spannung: „Hui, jetzt wollen wir doch mal sehen, ob das wirklich mit S anfängt!“

Vor dem Start der Show hatte Sat.1 an Journalisten eine DVD mit Folge 2 verschickt. Das war sehr mutig, denn die amerikanische Version der Show wurde nach nur einer einzigen Ausgabe abgesetzt. Sat.1 sendete diese zweite Ausgabe gestern, und damit ist Rich List bereits vergleichsweise langlebig.

Es gibt noch mehr positive Dinge, die man über die neue Show sagen kann. Ich prognostiziere, dass mir vier einfallen.
 

  1.  Die Show läuft am Wochenende am Vorabend. Das ist gut, denn dann läuft auf diesem Sendeplatz schon nicht mehr dieses dämliche Kofferspielchen.
  2. Die Spielregeln erklären sich fast von selbst. Das ist gut, denn wenn Kai Pflaume sie zu erklären versucht, versteht sie niemand.
  3. In der Show gibt es zwei schalldichte Kabinen wie früher in Hätten Sie’s gewusst?. Das ist gut, denn schalldichte Kabinen gehören einfach zu einer guten Spielshow. Dass sie eigentlich keine Daseinsberechtigung haben, weil Kai Pflaume den vorher abgedichteten Kandidaten alles noch einmal sagt, was ihre Gegner eben sagten, ist ja egal.
  4. Die spannungsgeladene Musik, die unentwegt im Hintergrund zu hören ist, klingt ein bisschen nach 24. Das ist gut, denn dadurch kann man sich wenigstens vorstellen, es würde etwas Spannendes passieren.
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Michael, 28. Mai 2007, 14:44.
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